10.
November 2009
Manchmal
habe ich mir gewünscht, Hände aus Gold zu haben. Mit denen ich
alles anfassen könnte, ohne es zu verändern oder zu zerstören. Mit
denen meine Berührungen ein Segen, ein Goldrausch für andere wären.
Wohlwollend. Und wenn ich in die Hände klatschte, fiele etwas von
dem in der Sonne glitzernden Staub herunter. Legte sich auf die
Körper der anderen, hüllte sie beschützend ein.
Wenn
man den ganzen Tag den Hirngespinsten der Nacht nachhängt, wird man
schwer und traurig, stellte ich dann fest.
10:23
Uhr
Bin
so durcheinander. Wischwaschwetter und Kopfschmerzen. So ein Chaos in
der Wohnung. Ich würde so gerne endlich richtig ankommen.
11:46
Uhr
Ich
habe Angst davor, was mich erwartet. Ich würde es gerne schaffen und
der Realität ins Auge blicken, es wagen. Es ist ein Wagnis, jeder
Blick jenseits dessen, was jetzt gerade so los ist hier bei mir.
Macht mir Angst. Macht. Irgendwie geht es darum, schon die ganze Zeit
ging es das. Gerne würde ich echt sein. Mir der Konsequenzen
meines Handelns gewahr werden. Wachsen.
Aber
ich will auch eine ganze Menge gleichzeitig.
11:49
Uhr
Das
mit dem Echtseinwollen ist ziemlich merkwürdig, weiß ich
doch in so vielen Augenblicken so sehr, dass das alles echt ist, ich
echt bin. Zum Schreien echt.
13:55
Uhr
Milan
postet seit einigen Tagen pausenlos bei Facebook Städtenamen und es
erweckt den Eindruck, als reise er sehr viel. Ich treffe Milan und
das Gefühl der Fremde schwindet.
14:15
Uhr
Wir
sitzen in einem Café. Hier riecht es nach Weihnachten. Ich kann
Weihnachten nicht gut leiden. Da habe ich immer das Gefühl, meine
Gefühle passen noch viel weniger als sonst.
Milan,
er erzählt zu viel. Ich kann gar nicht mehr folgen.
14:56
Uhr
Diese
Menschen, die nicht genug vom Leben kriegen. Ich beneide sie ein
Stück weit. Haben so viel Kraft für so vieles, was ich nie erleben
werde. Aber dann weiß ich, dass ich jetzt Ruhe brauche. Habe Milan
das gesagt. Er hat mich umarmt und mir einen schönen Nachmittag
gewünscht. Mir Kraft gewünscht. Hat keine Fragen gestellt. Oder
enttäuschte Erwartungen artikuliert. Hatte ich doch früher immer
mehr Zeit für ihn.
Ich
war erleichtert. Dass er mich hat einfach gehen lassen. Er weiß,
dass gerade vieles sehr schwer für mich ist.
16:18
Uhr
Lara
schreibt mir von ihren schlaflosen Nächten. „nein, mir geht es
gut. viel zu gut. ich kann es kaum fassen. ich habe eine erotische
onlinesexgeschichte seit 3 nächten mit dem edv-polizisten (dem
besten freund von fabian) und es ist unfassbar gut ...nur mein
schlafdefizit schlaucht.“
17:31
Uhr
Lara
sagt, sie komme jetzt gleich bei mir vorbei. Ich habe ihr gesagt,
dass ich niemanden sehen will. Ich will jetzt nicht, Lara,
habe ich gesagt. Dass mir heute alles zu viel ist. Nein Lara, es
geht nicht. Heute nicht. Ich bin müde und habe ungewaschenes,
strähniges Haar. Da musste ich fast selber schmunzeln. Früher
haben wir oft Serien zusammen gesehen. Dass ich schon draußen war,
habe ich dann gesagt. Lara, Milan und ich waren heute schon
draußen. Es geht mir gut,
du brauchst dir keine Sorgen machen.
Nein
nein, ich komme vorbei. Ich bestehe darauf. Ich bleibe auch nur kurz,
sage dir nur kurz Hallo.
Nein,
Lara.
Doch,
Silja.
Pfff...
19:49
Uhr
Aber
dann ist sie doch vorbei gekommen. Hat mir gesagt, dass sie nicht auf
mich hören wird, dass sie auch nur kurz Hallo sagen möchte. Ich war
die ganze Zeit bis zu ihrer Ankunft bei mir nervös. War wütend auf
sie, dass sie jetzt einfach so vorbeikommt. Fand das ziemlich frech
und übergriffig von ihr.
Dann
hat sie geklingelt und stand halt vor meiner Wohnungstür. Und dann
habe ich mich doch gefreut und geöffnet. Sie kennt mich eben.
Hallo.
Wusste gar nicht, was ich mehr
zu ihr sagen sollte. War irgendwie deprimiert, aber eigentlich hätte
ich ihr gerne gezeigt, wie sehr ich sie brauche und dass ich ihr
dankbar bin. Hoffe, sie kann das irgendwie spüren.
Sie
hat mir etwas gegeben. Hier, Silja, das hatte ich noch. Musste an
dich denken. Wollte es dir längst schon gegeben haben.
Ich
war überrascht. Da steht sie im Türrahmen und streckt die Hand aus,
hält mir etwas hin, in Zeitungen eingeschlagen, klein und flach,
passt auf ihre Handfläche.
Danke,
danke, sagte ich. Was ist das denn?
20:44
Uhr
Alleine
in meinem Zimmer. In meinem Chaos. In meiner Welt. Auf dem Flohmarkt
hätte sie das entdeckt. War schon zwei Wochen her. Behutsam habe ich
es ausgepackt. Ein alter Tuschkasten. Richtig richtig alter
Tuschkasten. So Aquarellfarbe sei das wohl, meinte Lara. Habe
gekramt, ewig und vierkommafünf Tage. Dann habe ich meine
Pinsel entdeckt. Die, die ich noch aus der Mittelstufe vom
Kunstunterricht habe. Ewig nicht benutzt. Kunst abgewählt. Schade
eigentlich. Jetzt sitze ich hier. An meinem Schreibtisch. Hatte so
viel Angst davor, jetzt wieder mit mir alleine zu sein, nachdem Lara
weg war. Aber jetzt geht es eigentlich ganz gut.
Und
ich male mir ein kleines Stückchen Welt. Ermale mir etwas, was nur
mir gehören wird. Da merke ich, dass ich es längst schon habe. Dass
es mir schon gehört. Ich gehöre mir schon. Ich bin schon ich. Hier
bin ich. Ich gehöre nur mir.
Sage
ich und schlafe beruhigt ein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen